Stehen Betroffene von sexualisierter Gewalt in der Kirche unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung?

Grundsätzlich versichert sind nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII Beschäftigte der öffentlich-rechtlichen Religionsgemeinschaften, wie z.B. der Katholischen Kirche und der Evangelischen Kirche Deutschland (EKD). 

Grundsätzlich versichert sind auch ehrenamtlich in öffentlich-rechtlichen Religionsgemeinschaften (wie z.B. der Katholischen Kirche oder der EKD) tätige Personen (§ 2 Abs.1 Nr. 10b SGB VII) und seit 01.01.2005 sind auch Personen versichert, die in Einrichtungen der öffentlich-rechtlichen Religionsgemeinschaften ehrenamtlich tätig werden. 

Die Verwaltungsberufsgenossenschaft (VBG) als eine der größten gesetzlichen Unfallversicherungen in Deutschland hat sich nach Berichten der ZEIT vom 6. und 16. Mai am 25.April an die katholische sowie evangelische Kirche gewandt. Diese sollen sexualisierte Gewalt melden, die an Ehrenamtlichen verübt wurde. Auch Fälle sexuellen Missbrauchs könnten Versicherungsfälle sein und daher bestehe für die Kirchen eine Anzeigepflicht gegenüber der VBG. 

Zum versicherten Personenkreis bei der VBG gehören u.a. Kinder oder Jugendliche eines Kirchenchores, Ministranten / Ministrantinnen, Jugendliche, die eine Jugendgruppe in der Kirchengemeinde oder einer Einrichtung der Kirche betreuen, Konfirmanden bei unentgeltlichen Tätigkeiten im Rahmen ihres von der Kirchengemeinde vorgeschriebenen Praktikums. 

Wenn ein Ministrant bei der Arbeit missbraucht wird, ist das ein Arbeitsunfall. 

Die gesetzliche Unfallversicherung ordnet die Missbrauchstaten juristisch unter dem Begriff "Unfall" ein, weil die Betroffenen einen Schaden erleiden. 

Die VGB hat eine Info-Seite eingerichtet (VBG - Sexualisierte Gewalt in den Kirchen, in der sie Betroffene aufruft, sich selbst bei ihr zu melden. " 

Wird ein solcher Missbrauchsfall bekannt, beginnt bei der gesetzlichen Unfallversicherung ein Verwaltungsverfahren. Den Betroffenen werden Fragebögen zugeschickt, danach wird versucht, den schädigenden Sachverhalt zu ermitteln und zu belegen. Von den Kirchengemeinden, der Diözese, der Landeskirche etc. werden Informationen und Unterlagen abgefordert. Im Ergebnis dieses Verwaltungsverfahrens wird festgestellt, ob ein Arbeitsunfall vorliegt, der unter den Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung fällt und welche Schädigungen als unfallabhängig anerkannt werden. Bestehen bereits Vorschädigungen werden diese berücksichtigt und es muss abgewogen werde, in welchem Maße sie auf die Schädigungsfolgen Einfluss haben. Gegen einen solchen Bescheid kann der Betroffene Widerspruch einlegen. Für diese Rechtsstreitigkeiten sind die Sozialgerichte zuständig. 

Ziel der gesetzlichen Unfallversicherung ist es grundsätzlich, durch einen Arbeitsunfall oder eine Berufskrankheit Geschädigte so zu unterstützen, dass sie wieder arbeitsfähig sind. Wird der Missbrauch als Arbeitsunfall anerkannt, haben die 

Berufsgenossenschaften und Unfallkassen die Kosten für die notwendige medizinische Behandlung (einschließlich notwendiger medizinischer Rehabilitationsmaßnahmen) zu übernehmen. Für die Zeit der Arbeitsunfähigkeit wird Verletztengeld gezahlt. Ggf. kommen auch Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben in Betracht. Die Berufsgenossenschaft finanziert bsp.weise auch „Umschulungen“. 

In Fällen, in denen sich die Folgen des Missbrauchs dauerhaft auf die Erwerbsfähigkeit auswirken, kann auch Anspruch auf Verletztenrente bestehen. Diese richten sich danach, wie stark jemand beeinträchtig ist (Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit) und wie viel der oder die Betroffene vorher verdient hat. 

Eine Verletztenrente kann maximal vier Jahre rückwirkend gezahlt werden. Gerechnet wird ab dem Zeitpunkt, zu dem bei der Versicherung der Schaden geltend gemacht wird. Die Missbrauchstat selbst kann viel länger zurückliegen. Problematisch ist dann aber der Nachweis. 

Schmerzensgeld wird von den gesetzlichen Unfallversicherungen nicht gezahlt. Dafür müssen die Betroffenen parallel die straf- und zivilrechtlichen Ansprüche verfolgen. 

Für viele Betroffene von sexualisierter Gewalt in der Kirche eröffnet sich mit diesem Vorstoß der VBG die Möglichkeit, einen Schadensausgleich außerhalb der von den Kirchen avisierten Zahlungen zu erhalten. Sie können Rechtsansprüche geltend machen und die Entscheidung der gesetzlichen Unfallversicherungen gerichtlich überprüfen lassen. In vielen Fällen dürfte es sich bei der Schädigung um psychische Folgen handeln. Bisher ist es äußerts schwierig, gegenüber den gesetzlichen Unfallversicherungsträgern derartige psychische Unfallfolgen anerkannt und entschädigt zu erhalten. Viele juristische Hürden zum Thema Kausalität sind zu nehmen, oft sind jahrelange Rechtsstreitigkeiten zu führen, um zum Erfolg zu gelangen. Opfer von sexuellem Missbrauch brauchen dafür wie alle Geschädigten Unterstützung. Diese könnte – neben der wertvollen Unterstützung von Opferverbänden und Fachanwälten bsp.weise darin liegen, dass die gesetzlichen Unfallversicherungen Beweiserleichterungen einräumen. Bleibt es bei der bisherigen äußerst zurückhaltenden Anerkennungspraxis, ist der Vorstoß der VBG eine reine Imagekampagne. Diese könnte sich jedoch schnell ins Gegenteil verkehren, wenn die Betroffenen ihre Rechte nicht durchgesetzt bekommen. Es sollte daher alles versucht werden, um genau diese Enttäuschung bei den Betroffenen zu verhindern. Gerade sie brauchen endlich vor allem gesellschaftliche Anerkennung des von ihnen Erlittenen und Lichtblicke. 

Constanze Würfel 

Rechtsanwältin und Fachanwältin für Sozialrecht 

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