Sozialrechtliche Hilfen für Gehörlose zur Förderung der Verständigung mit der Umwelt

Die Sprache ist das wichtigste Instrument für unsere Kommunikation. Hörbehinderte Menschen oder Menschen mit besonders starker Beeinträchtigung der Sprachfähigkeit sind daher in ihrer Teilhabe am gesellschaftlichen Leben erheblich beeinträchtigt. Die Sozialgesetzbücher sehen eine Reihe von Hilfen vor. Gleichwohl müssen viele Betroffene immer wieder um ihre Rechte kämpfen.

Das Sozialgericht Koblenz entschied mit Urteil vom 01.03.2016, S 14 KR 760/14, dass die gesetzlichen Krankenkassen die Kosten für Sprachkurse zum Erlernen der Gebärdensprache als Krankenbehandlung zu übernehmen haben. Ein an einer nicht heilbaren Hörstörung leidender Versicherter hatte gegen seine Krankenkasse geklagt. Diese hatte die Kostenübernahme mit der Begründung abgelehnt, Sprachkurse würden nicht zum Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung gehören.

Anerkannt ist u.a. der Anspruch auf Eingliederungshilfe nach dem SGB XII für eine angemessene Schulbildung in Form eines Schulbegleiters (Gebärdendolmetscher). Gilt dies aber nur für die reine Unterrichtszeit oder aber auch für die Zeit der tatsächlichen Anwesenheit der Schülerin in der Schule, also einschließlich Betreuungs- und Essenszeiten in einer Ganztagsschule? Diese Frage hatte das Sozialgericht Detmold im Frühjahr diesen Jahres zu beantworten. Das Gericht sprach mit Urteil vom 15.03.2016, S 2 SO 259/15 der gehörlosen Schülerin klar einen Anspruch auf Kostenübernahme für eine Gebärdendolmetscherin als Integrationshelferin für den Besuch einer rythmisierten Grundschule auch für die sogenannten „Randstunden“ zu. Nur damit könne die Schülerin ihr Recht, die Grundschule mit all ihren Angeboten zu besuchen, ausüben.

Hingegen hat das Landessozialgericht Hamburg den Anspruch eines gehörlosen Studenten auf Übernahme der Kosten für einen Gebärdendolmetscher abgelehnt, Urteil vom 24.09.2015, L 4 SO 40/14.

Zwar habe der Student aufgrund seiner Behinderung grundsätzlich Anspruch auf Eingliederungshilfeleistungen, zu denen auch die Übernahme von Kosten eines Gebärdendolmetschers gehöre, jedoch stehe die Gewährung dieser Leistungen durch den Sozialhilfeträger unter dem Vorbehalt der Bedürftigkeit. Dem Studenten, der über ein verwertbares Vermögen über der Schongrenze von über 10.000 EUR verfügte, sei es zuzumuten die Dolmetscherkosten aus seinem Vermögen zu bestreiten. Dies stelle keine besondere Härte dar. Auch aus dem Behindertengleichstellungsgesetz des Bundes (BGG), dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) und auch aus dem VN-Behindertenrechtsübereinkommen ergäbe sich nichts anderes.

Der Student sieht dies als Benachteiligung aufgrund seiner Behinderung an. Es bedeute für ihn eine Härte, dass die begehrte Sozialhilfe vom Einsatz seines Vermögens abhängig gemacht werde. Die Lehre an der Universität im Studienfach Mathematik werde nicht in deutscher Gebärdensprache abgehalten. Daher sei ihm nur durch den Einsatz eines Dolmetschers ein Studium überhaupt möglich.

Das LSG Hamburg hat wegen der grundsätzlichen Bedeutung dieser Rechtsfrage die Revision zugelassen. Diese ist beim Bundessozialgericht unter dem Aktenzeichen B 8 SO 25/15 R beim 8. Senat anhängig. Es bleibt also abzuwarten, an welche Voraussetzungen das BSG einen Anspruch auf Kostenerstattung für den Einsatz eines Gebärdensprachdolmetschers zur Durchführung eines Studiums als Leistung der Eingliederungshilfe nach dem SGB XII knüpft. Der betroffene Mathematikstudent dürfte inzwischen kurz vor der Beendigung seines Studiums sein und sich damit von Sozialhilfe unabhängig gemacht haben – ich wünsche ihm und allen anderen Betroffenen eine Entscheidung zu seinen Gunsten!

Constanze Würfel Rechtsanwältin und Fachanwältin für Sozialrecht

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