BSG zeigt viel Verständnis für den Spieltrieb Jugendlicher

Das Bundessozialgericht hatte am 06.10.2020 wieder einmal in einem Rechtsstreit (B 2 U 13/19 R) aus dem Recht der gesetzlichen Unfallversicherung zu entscheiden. Die Klägerin in dem Verfahren war eine 17-Jährige, die im Rahmen ihres Freiwilligen Sozialen Jahres (FSJ) einen Unfall erlitt. Als Teilnehmerin an einem FSJ ist sie Beschäftigte im Sinne § 2 Abs.1 Nr.1 SGB VII und untersteht daher grundsätzlich der gesetzlichen Unfallversicherung. Aber lag auch ein Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit vor? Die Klägerin hatte an einem abgelegenen Ort mit anderen Jugendlichen an einem einwöchigen Seminar teilgenommen. Dort verletzte sie sich am Abend beim Springen auf einem Hüpfkissen. Zum Unfallzeitpunkt war die offizielle Seminarzeit bereits beendet. Jedoch war für den Abend ein weiterer Programmpunkt angeboten. Auf dem Weg dorthin entdeckte die Klägerin gemeinsam mit anderen Seminarteilnehmern das Hüpfkissen und sie nutzten die Gelegenheit zum Spielen darauf. Der Träger des FSJ habe eine erhöhte spezifische Gefahr für die „ungehemmte Entfaltung jugendlicher leichtsinniger Spielereien und gruppendynamischer Prozesse“ geschaffen. Durch die Abhaltung des Seminares an einem fremden abgelegenen Ort mit einem unfallträchtigen Sportgerät ohne entsprechende Aufsicht sei ein Verletzungspotential gegeben und die Jugendlichen seien besonderen Gefahren ausgesetzt gewesen. Daher sei ein Zusammenhang zur versicherten Tätigkeit zu bejahen. Der unfallbringende Katapultsprung erfolgte, so das BSG, aufgrund altersbedingter Gegebenheiten wie Übermut, Spieltrieb, Gruppendynamik und Fehleinschätzung der Gefahrenlage. Dem stünde auch nicht entgegen, dass die Klägerin zum Unfallzeitpunkt bereits 17 Jahre alt war. Zwar dürfte der Spieletrieb mit fortschreitendem Alter abnehmen, doch könne dieser gerade in Gruppen Gleichaltriger wieder aufleben und durch gruppendynamische Prozesse, wie sich gegenseitig „anfeuern“ oder „hochschaukeln“, verstärkt werden. Gerade in solchen Situationen bestehe die Gefahr, dass Jugendliche von übermütigen Ideen mitgerissen werden und sich erheblichen Gefahren für die körperliche Unversehrtheit aussetzen. Die jugendliche Klägerin habe daher einen versicherten Arbeitsunfall i.S. des § 8 Abs.1 iVm § 2 Abs.1 Nr.1 SGB VII erlitten. Endlich einmal eine positive Entscheidung zum häufig streitigen Thema Arbeitsunfall! Die Richter*Innen des BSG zeigten hier – anders als in vielen vergangenen Entscheidungen – Empathie und Verständnis für die alltäglichen Gefahren des Lebens. Bleibt zu hoffen, dass beides künftig auch bei Unfällen Erwachsener Wirkung zeigt. Denn schließlich sind Spieltrieb, Leichtsinn und Gruppendynamik nicht nur bei jungen Leuten anzutreffen….

Constanze Würfel Rechtsanwältin und Fachanwältin für Sozialrecht

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