Auch Gesundheitsschäden infolge eines Streites mit dem Chef können als Arbeitsunfall anerkannt werden

Das BSG hatte am 6. Mai 2021 eine interessante Frage zu beantworten. Kann ein Streitgespräch am Arbeitsplatz zu einem Arbeitsunfall i.S. der gesetzlichen Unfallversicherung führen? Eine Bankangestellte hatte sich gegenüber ihrem Vorgesetzten für einen Kollegen eingesetzt, bei dem eine Kassendifferenz festgestellt worden war. Der Vorgesetzte wollte diesen Vorfall melden, die Bankangestellte erachtete dies nicht als notwendig. Darüber gerieten die beiden in einen heftigen Streit. Unmittelbar nach dem Streit brach die Frau auf ihrem Schreibtischstuhl zusammen. Glücklicherweise konnte sie vom hinzugerufenen Notarzt wiederbelebt werden.

Der Vorgesetzte bestätigte die Auseinandersetzung, meinte aber, dass die unterschiedlichen Ansichten in einem sachlichen, angemessenen Ton ausgetauscht worden seien. Er gab allerdings zu, dass das Gespräch „unharmonisch und frostig“ geendet habe, derartige Vorfälle seien jedoch im Vertrieb alltäglich.

Die zuständige Berufsgenossenschaft sah in dem Unfall keinen Arbeitsunfall und lehnte es ab, Entschädigungsleistungen zu zahlen. Das Sozialgericht hatte die Klage der Frau abgelehnt. Die Voraussetzungen eines Arbeitsunfalls seien nicht gegeben, da es an dem zwingend notwendigen Merkmal eines von außen auf den Körper einwirkenden Ereignisses fehle (§ 8 SGB VII). Der Austausch verbaler Differenzen allein sei im Berufsleben weit verbreitet und genüge den Anforderungen nicht.

Die Mitarbeiterin wandte ein, das Gespräch mit dem Filialleiter habe optisch und akustisch auf sie eingewirkt und einen Herzstillstand als Gesundheitsschaden verursacht. Das Bundessozialgericht gab ihr Recht. Ein Unfall könne auch dann vorliegen, wenn eine Verletzung durch bloße Wahrnehmung (Hören, Schmecken, Tasten) ausgelöst werde, Urteil v. 6.5.2021, B 2 U 15/19 R). Allerdings müsse noch geklärt werden, ob das Gespräch überhaupt im Rahmen einer versicherten Tätigkeit stattgefunden habe. Dazu müsse das Landessozialgericht die konkreten Umstände des Gesprächs ermitteln. Körperschäden oder auch psychische Schäden infolge eines Streits, einer Tätlichkeit, eines Überfalls während der versicherten Tätigkeit oder auf einem versicherten Weg sind dann ihrerseits versichert, wenn sie in einem rechtlich wesentlichen (nicht nur zeitlichen) Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit stehen. Dabei kommt es auf die Ursache des Streits, das Motiv des Täters und auf die Rolle an, die der oder die Geschädigte dabei spielte. Allenfalls dann, wenn sich der oder die Geschädigte besonders provozierend verhalten hat, kann der Versicherungsschutz entfallen.

Es muss also noch geklärt werden, ob die Bankangestellte mit dem Eintreten für den Kollegen eine Verpflichtung aus ihrem Beschäftigungsverhältnis erfüllte bzw. unternehmensbezogene Rechte aus ihrem Arbeitsverhältnis wahrnahm. Ebenfalls noch zu klären ist durch das LSG die Frage nach dem Gesundheitszustand der Frau vor dem Zwischenfall. Die Bank hatte angegeben, die Ursache des Herzanfalls liege in langjährigen Herz-Vorerkrankungen.

Diese Entscheidung könnte durchaus zu einer Verbesserung des betrieblichen Arbeitsklimas führen. Schließlich werden die Unternehmen an den Kosten von Arbeitsunfällen beteiligt.

Constanze Würfel Rechtsanwältin und Fachanwältin für Sozialrecht

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