Anerkennung einer posttraumatische Belastungsstörung als Wie-Berufskrankheit bei einem Rettungssanitäter
Am 22.06.2023 hatte das Bundessozialgericht in Kassel unter dem Aktenzeichen B 2 U 11/20 R folgenden Fall zu entscheiden:
Der Kläger ist Rettungssanitäter. Bei ihm war eine Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) festgestellt worden. Im Rettungsdienst hatte er viele traumatisierende Erlebnisse zu verarbeiten (Amoklauf, Suizide und andere das Leben sehr belastende Momente). Die Symptomatik einer PTBS trat erstmals nach zwei Amokläufen auf, bei denen der Kläger als Helfer eingesetzt war, sowie nach Suiziden von zwei miteinander befreundeten Mädchen.
Die Beklagte Berufsgenossenschaft lehnte die Anerkennung einer Berufskrankheit ab. Gleichzeitig stellte sie fest, dass die Erkrankung auch nicht als Wie-Berufskrankheit anzuerkennen sei. Der allein hierauf gerichtete Widerspruch und auch Klage und Berufung blieben ohne Erfolg. Das Landessozialgericht hatte ausgeführt, es gehe davon aus, dass Rettungssanitäter wie der Kläger während ihrer Arbeitszeit einem erhöhten Risiko der Konfrontation mit traumatisierenden Ereignissen ausgesetzt seien. Ausreichend gesicherte neue medizinische Erkenntnisse über ein deutlich erhöhtes Risiko bei Rettungssanitätern, eine beruflich verursachte Posttraumatische Belastungsstörung zu entwickeln, lägen aber ebenso wenig vor wie über den Umstand, dass (allein) die wiederholte Konfrontation der Ersthelfer mit traumatischen Ereignissen bei anderen Personen generell geeignet sei, eine Posttraumatische Belastungsstörung zu verursachen.
Der 2. Senat des BSG hat nach Stellungnahmen des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales sowie des Ärztlichen Sachverständigenbeirats ein Sachverständigengutachten zum Auftreten und zu Ursachenzusammenhängen von Posttraumatischen Belastungsstörungen in der Berufsgruppe der Rettungssanitäter eingeholt.
Im Ergebnis stellte das BSG fest, dass die Posttraumatische Belastungsstörung eine Erkrankung ist, die wegen der besonderen Einwirkungen, denen Rettungssanitäter gegenüber der übrigen Bevölkerung ausgesetzt sind, als Wie-Berufskrankheit bei dieser Personengruppe anzuerkennen ist. Rettungssanitäter sind einem erhöhten Risiko der Konfrontation mit traumatisierenden Ereignissen (unter anderem erfolglose Rettungsmaßnahmen, Bergung von Schwerverletzten oder Unfalltoten, Auffinden von Suizidenten und insbesondere das Auffinden und Bergen von Kindern) ausgesetzt. Diese Einwirkungen seien abstrakt-generell nach dem Stand der Wissenschaft Ursache einer Posttraumatischen Belastungsstörung. Der generelle Ursachenzusammenhang ergäbe sich jedenfalls für die Posttraumatische Belastungsstörung bereits aus den international anerkannten Diagnosesystemen ICD und DSM sowie den Leitlinien der wissenschaftlich-medizinischen Fachgesellschaften.
Die Revision des Klägers war im Sinne der Zurückverweisung erfolgreich. Die Ablehnung der Anerkennung einer Wie-Berufskrankheit ist rechtswidrig. Allerdings reichten die in den Vorinstanzen festgestellten Tatsachen für eine abschließende Entscheidung nicht aus. Es fehlte an den individuellen Voraussetzungen einer tätigkeitsbedingten PTBS. Zu diesen muss nun vor dem Landessozialgericht neu ermittelt und entschieden werden. Drücken wir dem Rettungssanitäter die Daumen!!
Rechtsanwältin und Fachanwältin für Sozialrecht
Constanze Würfel